"Keine Angst vor feindlichen Übernahmen"

Vorschaubild

22.06.2011 FR-Interview mit dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates der Robert Bosch GmbH, Alfred Löckle.

Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Robert Bosch GmbH, Alfred Löckle, spricht im FR-Interview über die Vorzüge eines Stiftungs-Unternehmens, Rezepte gegen Fachkräftemangel und die rein männliche Führungsebene.

Herr Löckle, Bosch ist stolz auf seine Tradition als guter Arbeitgeber. Firmengründer Robert Bosch hat schon 1931 gesagt: "Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle." Gilt das Prinzip heute noch?
Hinter diesem Satz steckt eine Strategie, die andere Unternehmen längst kopiert haben. Diese Strategie hat dazu beigetragen, dass es in Deutschland heute noch industrielle Massenproduktion in großem Stil gibt.

Das müssen Sie erklären.
Bosch war Pionier bei der effizienten Massenfertigung. Das Unternehmen hat früher als andere Arbeitswissenschaft betrieben: Arbeitsabläufe wurden analysiert und standardisiert, um jede überflüssige Bewegung zu vermeiden. Dadurch haben die Beschäftigten effizienter gearbeitet, und deshalb wurden sie auch besser bezahlt.

Und heute?
Inzwischen hat die Arbeitswissenschaft in allen großen deutschen Unternehmen Einzug gehalten. Die gesamte Metall- und Elektroindustrie ist extrem effizient. Die deutschen Fabriken und Montagewerke gehören zu den produktivsten und am besten organisierten der Welt. Deswegen können wir bei der Massenproduktion immer noch mit Niedriglohnländern konkurrieren.

Und wie bezahlt Bosch heute seine Leute?
Wir haben bei der Effizienz die Nase nicht mehr so weit vorn. So gesehen ist es logisch, dass Bosch im Wesentlichen nach dem Flächentarifvertrag bezahlt. Die Beschäftigten erhalten einen Grundlohn, zusätzlich können 15 Prozent für die individuelle Leistung dazukommen. Diese Möglichkeit sieht der Flächentarif vor. Außerdem werden sie am Erfolg des Unternehmens beteiligt. Für 2010 gab es eine für unsere Verhältnisse hohe Prämie von 48 Prozent eines Monatseinkommens, weil wir den Wirtschaftsplan kräftig übertroffen haben.

Ist Bosch damit ein ganz normaler Arbeitgeber geworden?
Ich sag"s mal so: Ich bin froh, dass ich Betriebsratsvorsitzender eines nicht-börsennotierten Unternehmens bin. Wir müssen keine Angst vor feindlichen Übernahmen haben. Und: Bei uns bleibt der Großteil des Ertrags im Unternehmen. Der größte Teil des Gewinns wird reinvestiert. An die Eigentümer geht ein mittlerer einstelliger Prozentsatz. So gesehen ist Bosch schon ein besonderes Unternehmen.

Inhaltsbild

Der Konzern gehört einer Stiftung, warum ist sie bescheidener als Aktionäre?
Bosch hat eine besondere Firmenkonstruktion. Die Stiftung ist Eigentümerin. Sie hat aber ihre Stimmrechte an die Robert Bosch Industrietreuhand KG überschrieben. In der Treuhand sind traditionell die ehemaligen Vorsitzenden der Geschäftsführung tätig, zurzeit sind das Hermann Scholl als Vorsitzender und andere Unternehmerpersönlichkeiten. Die Familie Bosch als Miteigentümer ist in allen Aufsichtsgremien vertreten, und ihre Stimme hat ebenfalls ein hohes Gewicht. Die Stiftung hat seit ihrer Gründung insgesamt eine Milliarde Euro für gemeinnützige Projekte zur Verfügung gestellt. Die jährliche Dividende an die Stiftung fließt unabhängig vom Ergebnis. So bleibt die Finanzierung der Projekte auch in Krisenzeiten sichergestellt.

Und was bringt es, wenn der Großteil des Ertrags im Unternehmen bleibt?
Das ist ein großer Vorteil: Wir können mehr Geld in Forschung und Entwicklung stecken. Im vorigen Jahr waren es über acht Prozent des Umsatzes, und damit deutlich mehr als bei anderen Konzernen. Wir können langfristig planen und strategische Zukäufe finanzieren. Unser Kurs, die ganze Mannschaft in der Krise an Bord zu halten, hat natürlich auch mit der soliden Finanzierung des Unternehmens zu tun, und im Aufschwung konnten wir so deutlich an Marktanteilen zulegen.

Welche Folgen hat die besondere Unternehmensverfassung für die Belegschaft?
Das Leitmotiv von Bosch lautet nicht: Wir wollen möglichst viel Kasse machen und irgendwelche Aktionäre beglücken. Unser Leitmotiv lautet: Technik fürs Leben. Das ist nicht nur ein PR-Spruch, das leben wir. Und das finden die Leute attraktiv. In Umfragen sagen 90 Prozent der Beschäftigten, dass sie stolz sind, bei Bosch zu arbeiten. Viele wollen eben nicht nur malochen, um Knete zu verdienen. Sie wollen etwas herstellen, das das Leben der Menschen erleichtert.

Inhaltsbild

Einverstanden. Aber die Leute wollen doch auch gute Arbeitsbedingungen. Wie bezahlen Sie denn zum Beispiel Leiharbeiter?
Leiharbeit spielt bei uns nur in einigen wenigen Standorten eine nennenswerte Rolle. Dazu gehört Eisenach, wo es neben den 1650 Festangestellten 170 Leiharbeiter gibt. Der Grund: In dem Werk schwankt die Auslastung stark. Dort haben wir im Frühjahr erreicht, dass die Leiharbeiter nach dem Metall-Tarifvertrag bezahlt werden. Das hat sich in der Region schnell herumgesprochen. Facharbeiter aus nicht tarifgebundenen mittelständischen Betrieben sagen jetzt: Wenn ich als Leiharbeiter zu Bosch gehe, kriege ich zwei Euro mehr pro Stunde. Viele sind in die IG Metall eingetreten. Und die Gewerkschaft führt jetzt mit einigen Mittelständlern Tarifverhandlungen, um auch dort höhere Einkommen durchzusetzen.

Leiharbeiter ziehen die Löhne nach oben? Das wäre ja ganz was Neues!
Genau das zeichnet sich dort ab.

Zahlt Bosch überall Leiharbeiter nach dem Metall-Tarif?
Nein. Aber insgesamt ist der Anteil der Leiharbeiter mit 1,5 Prozent sehr niedrig. Und meist werden sie für die klassischen Fälle eingesetzt: als Vertretung bei Krankheit, Urlaub oder Erziehungszeiten. Dass sich die Zahl der Leiharbeiter in Grenzen hält, gehört zu unserer Firmenkultur: Uns geht es darum, unumgängliche Flexibilität mit fairen Mitteln darzustellen. Gegen Lohndumping wehren wir uns.

Die Wirtschaft klagt heftig über Fachkräftemangel. Finden Sie noch genug qualifiziertes Personal?
Ja. Bei Facharbeitern haben wir die Ausbildung auf konstant hohem Niveau gehalten. Und bei Ingenieuren reden wir seit zehn Jahren darüber, dass es künftig einen Mangel geben könnte. Lücken tun sich bislang aber nur bei sehr speziellen Qualifikationen auf.

Inhaltsbild

Was bieten Sie den Leuten? Viel höhere Löhne als andere Konzerne zahlen Sie ja nicht.
Die Vereinbarung von Familie und Beruf spielt gerade für hochqualifizierte Beschäftigte eine große Rolle. Viele kommen aus der ganzen Republik, um in unseren Entwicklungszentren im Großraum Stuttgart zu arbeiten. Da ist es besonders wichtig, dass sie die Arbeitszeiten mitgestalten können. Wir haben jetzt für die Entwicklungsbereiche einen neuen Tarifvertrag vereinbart. Danach können die Leute wählen, ob sie im Durchschnitt 35, 38 oder 40 Stunden pro Woche arbeiten. Sie müssen sich auf zwei Jahre festlegen. Einen Teil der Arbeitszeit können sie auf einem Konto ansparen und irgendwann für Weiterbildung oder Familienzeit nutzen. Solche Gestaltungsmöglichkeiten werden für die Menschen bei der Jobwahl immer wichtiger. Denn wenn unsere Mitarbeiter auf familiäre Situationen nicht reagieren können, ist das sehr belastend.

Leiden also nur Firmen mit schlechten Arbeitsbedingungen über einen Fachkräftemangel?
Ich will nicht andere Unternehmen bewerten. Wir glauben jedenfalls, dass die Situation in den nächsten Jahren angespannter werden könnte. Deswegen haben wir ein Förderprogramm beschlossen. Mit dem Geld unterstützen wir Beschäftigte, die einen Bachelor-Abschluss an der Hochschule nachholen wollen. Unser Ziel ist, dass wir künftig 20 Prozent des Ingenieurbedarfs über diese Nachwuchsförderung decken können. Für das Stipendienprogramm haben wir einen alten Hut geopfert: künftig gibt es keine Zinszuschüsse für Baudarlehen mehr. Das Geld haben wir auf drei Millionen Euro pro Jahr aufgestockt, und in diesem Jahr werden die ersten Zuschüsse vergeben.

Apropos Förderung: Bei den Führungskräften scheint sich die Förderung stark auf Männer zu konzentrieren. Im Aufsichtsrat und in der elfköpfigen Geschäftsführung beträgt die Männerquote 100 Prozent...
Wir hatten früher immer Frauen im Aufsichtsrat. Aber durch glückliche Fügung wie Mutterschaft sind wir in dieser Wahlperiode zu einem reinen Männerverein geworden. Das wollen wir ändern. Ich gehe davon aus, dass in der nächsten Wahlperiode die Frauen entsprechend ihrem Anteil an der Belegschaft wieder vertreten sind. Das wären rund 20 Prozent. Natürlich kann ich nur für die Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat sprechen. Für die übrigen Mitglieder trage ich keine Verantwortung. Dazu müssen Sie den Aufsichtsratsvorsitzenden Herrn Scholl befragen.

Sie haben zu Beginn Bosch als Pionier bezeichnet. Wie innovativ ist denn heute das Unternehmen? Kritiker meinen, dass Konzerne wie Conti größere Entwicklungssprünge machen.
Vor einigen Jahren habe ich selbst mehr Anstrengungen gefordert und wirklich zufrieden darf man da nie sein. Dennoch sind wir inzwischen beim Innovationsprozess deutlich vorangekommen. Wir haben zum Beispiel enorme Verbesserungen bei der spritsparenden Technik erreicht. Allein über die Einspritztechnik können wir den Spritverbrauch nochmal um 30 Prozent verringern. Dann wird die spannende Frage: Was ist umweltfreundlicher, das reine Elektroauto mit dem derzeitigen Strommix? Oder ein Diesel in der Größe eines VW Golf mit einem Verbrauch von 3,5 Liter? Eins müssen wir aber noch verbessern: Wir müssen die Belegschaft stärker an dem Prozess der Ideenfindung für neue Produkte beteiligen. Unsere Mitarbeiter sind selbst auch Nutzer von Bosch-Erzeugnissen und können ihre Erfahrungen und Bedürfnisse einbringen. Daran arbeiten wir zurzeit - schließlich wollen wir jede gute Idee nutzen.

Sie haben das E-Auto angesprochen. Bei den Batterien kooperieren Sie mit Samsung. Das Batteriewerk wurde in Korea gebaut, warum nicht in Deutschland?
Das Know-how für Lithium-Ionen-Batterien kommt aus dem Consumer-Bereich, und Samsung ist hier klar der Technologieführer. Was Bosch beisteuert, ist das Know-how, wie man die Technik in Fahrzeugen einsetzt. Wir wollen voneinander lernen. Im Übrigen bin ich zuversichtlich: Wenn sich Elektroautos durchsetzen und die Produktion anläuft, wird auch in Europa ein Batteriewerk gebaut. Es lohnt sich nicht, die Dinger weit zu transportieren.

Müssen Elektroautos vom Staat gefördert werden?
Ich finde es richtig, wenn Deutschland den Fokus zunächst auf die Förderung von Forschung und Entwicklung richtet. Wenn wir etwas weiter sind, sollte man über weitere Anreize nachdenken. Möglich wäre beispielsweise, Taxis oder Postautos mit elektrischem Antrieb zu fördern. Mit solchen Flottenfahrzeugen kann man schnell Erfahrungen sammeln und Verbesserungen umsetzen.

Wird es so weit kommen?
Diese Förderung hat noch ein bisschen Zeit. Wir versuchen, die Bundesregierung zu überzeugen. Die Verantwortung für eine Entscheidung liegt dann bei ihr.

Frankfurter Rundschau, 18.06.2011
Interview: Eva Roth

Letzte Änderung: 19.07.2013